Tourtagebuch

Journal-Frankfurt

Und hier ist sie schon, die Kritik von Gregor Ries im „Journal Frankfurt“:

Ein Pfarrer allein auf der Bühne

Nach dem Tod seines Kabarett-Kollegen Clajo Herrmann macht Hans-Joachim Greifenstein allein weiter: Sein dritter Soloauftritt führte ihn ins Neue Theater Frankfurt-Höchst. Weitere Termine in den kommenden Wochen stehen bereits fest.

Im Januar dieses Jahres feierte das 16. Programm des „Ersten Allgemeinen Babenhäuser Pfarrer(!)-Kabaretts“ seine Premiere in Stockstadt. In „Opakalypse“ beschäftigten sich die beiden ehemaligen Geistlichen mit der Überalterung der Gesellschaft und negativen Auswirkungen des Fortschritts. „Früher/heute“ gehörte wie bei manchen Kabarettisten zu den Sujets ihrer Gags. Es kam jedoch nur zu fünf Vorstellungen, da Claus-Jochen, kurz Clajo, Herrmann am 4. Februar 2024 überraschend starb.

Der Autor dieser Zeilen gehört daher zur überschaubaren Zahl an Zuschauern, die das Stück noch gesehen hatten – zumindest größtenteils. Auf die spaßeshalber gestellte Frage nach der vierten Vorstellung in Hochheim, ob man den verpassten Anfang nochmals vorspielen könne, antwortete Hans-Joachim Greifenstein natürlich: „Dann kommen Sie eben beim nächsten Mal noch einmal.“ Dazu sollte sich keine Gelegenheit mehr bieten.

Der inzwischen wieder in Babenhausen lebende Pfarrer entschloss sich nach dem Tod seines Freundes und Bühnenkompagnons, alleine weiterzumachen. Man durfte gespannt sein, wie er das Problem des fehlenden Ansprechpartners lösen würde. Immerhin folgten die Programme einem festen Ritus: Jeweils zwei Soloparts waren in vier Zwiegespräche eingebettet. In Aschaffenburg bekam er zuletzt Unterstützung von Clajos langjähriger Kollegin Stefani Kunkel von der „Hessischen Dreidabbischkeit“ – nicht aber beim nächsten Auftritt im gut besuchten, aber nicht ausverkauften Neuen Theater Frankfurt Höchst. Dort gehörte das Duo ebenso zu den Stammgästen.

Greifenstein begrüßte zugleich Bekannte und Verwandte aus Kriftel und Friedberg. Vom Publikum ließ sich der nur noch aushilfsweise als Pfarrer arbeitende Künstler mit „Ei gude, wie?“ begrüßen. Der „Kirchenvater“ Dragoslav Stepanovic habe schon gesagt „Lebbe geht weiter“, begründete er anfangs sein Weitermachen. Vom Hauptthema, der Suche nach einer passenden Seniorenresidenz für evangelische Kirchenkabarettisten, war nicht mehr allzu viel übrig geblieben. Anstelle eines Ansprechpartners berichtete Greifenstein nun über die Diskussionen mit einem Bekannten namens Rudi. Hier drehten sich die Gespräche um Rentner auf den Spuren der Rolling Stones, die im Alter noch hip bleiben wollen und mit ihren E-Bikes alles von der Straße scheuchen. Es war allerdings Clajo Herrmann, der im Hinblick auf eine vor zwei Jahrzehnten gestorbenen Bekannte den unsensiblen Umgang mit dem Tod im reichen Deutschland kritisierte. Diese eindrücklichen Passagen fehlten nun ebenso wie manch bewährter Kalauer.

Dafür verstärkte Greifenstein seine Kritik an ‚Wutbürgern‘, unqualifizierten Internetkommentaren und besonders am Erstarken der AfD. Vermeintliche Protestwähler verglich er mit Kunden einer Gaststätte, die aus der Toilette trinken würden, weil ihnen die Bierpreise zu hoch erschienen. Wie gewohnt griff er bei seinen Vergleichen zu Weisheiten von Philosophen wie Hegel, Bloch oder dem ebenso kritisierten Dalai Lama. Bei seiner Mischung aus Gesellschafts-, Politik- und Medienkritik verstärkte Greifenstein nun seine Exkursionen über das Zusammenleben der Geschlechter und zur hessischen Weltsicht. Mit Stoffbembel und Stoffkrone auf dem Kopf plädierte er zur Gelassenheit: Im Zusammenleben solle man den DHRS-Quotienten („Du hast Recht, Schatz“) erhöhen. Wie zuvor brach er eine Lanze für das weibliche Geschlecht in Politik und Führungspositionen und riet Frauen zu mehr Selbstbewusstsein. Männer würden ihr Versagen schön reden, Frauen sollten ihre persönlichen Qualitäten stärker hervorheben.

Früher strebte Clajo Herrmann eine Karriere als Solokabarettist an. Seine Laufbahn hatte er vor zwei Jahren mit einem letzten Programm, dem Umzug nach Portugal und Löschung der vollgepackten Website aufgegeben. Jetzt bewies sein Kollege Hans-Joachim Greifenstein, dass er ohne Verschnaufpause kurzweilig-gagreiche 95 Minuten zu bewältigen vermag. Als Zugabe erfolgten noch drei der besten letzten Pointen seines Kumpans zu einem Erinnerungsfoto auf der Bühne. Man darf hoffen, dass Greifenstein der Bühne erhalten bleibt und die „Opakalypse“ nicht das Ende des Pfarrerkabaretts bedeutet.