Tourtagebuch

Aschaffenburg und überhaupt

Auf einen Kaffee mit…: Hans-Joachim Greifenstein vom Babenhäuser Pfarrer(!)kabarett

Greifenstein macht alleine weiter

ASCHAFFENBURG

21.03.2024

Macht weiter Kabarett: Hans-Joachim Greifenstein vom Ersten Allgemeinen Babenhäuser Pfarrer(!)kabarett – im Gespräch mit Redakteurin Fee Berthold-Geis. Foto: Victoria Schwab

Foto: Victoria Schwab

Den letz­ten Gruß, den Hans-Joa­chim Grei­fen­stein von Cla­jo Herr­mann be­kom­men hat, war ei­ne Email. Am 31. Ja­nuar schrieb er ihm un­ter der Über­schrift »Jah­res­tag« »Herz­li­chen Glück­wunsch, Hans! 27 Jah­re Pfar­r­er­ka­ba­rett. Län­ger hal­ten die we­nigs­ten Ehen.

«27 Jahre standen die beiden gemeinsam auf der Bühne, begeisterten mehr als 350.000 Zuschauer als Erstes Allgemeines Babenhäuser Pfarrer(!)kabarett. Claus-Jochen »Clajo« Herrmann ist am 4. Februar 2024 plötzlich gestorben. Er wurde 68 Jahre alt.

Verwitwet. So fühlt sich Hans-Joachim Greifenstein. Er macht nun alleine weiter und spielt am Donnerstag, 28. März, um 20 Uhr das Programm »Opakalypse« im ausverkauften Aschaffenburger Hofgarten-Kabarett. (Weitere Termine: 12./13. Juli) Zeit also für ein Gespräch und einen Kaffee mit Fee Berthold-Geis. Greifenstein und Herrmann waren im April 2013 übrigens die ersten Gesprächspartner in der Rubrik »Auf einen Kaffee mit«. Jetzt sitzt nur noch Greifenstein am Café-Tisch. Der 67-Jährige trinkt Cappuccino und Rooibostee, die Kaffeemaschine schnurrt laut in der »Bar del Corso«, Greifenstein plaudert, redet reflektiert, lacht auch viel. Die Schwere soll keinen Platz haben.

Was erwartet die Zuschauer am 28. März?

Das Duo-Programm, das Clajo und ich gemeinsam gemacht haben, wird als solistisches Programm weitergeführt. Aus dem Dialog ist ein Monolog geworden. Neu ist, dass ich jetzt immer mal wieder einen Gast einlade – zum ersten Mal im Hofgarten-Kabarett. Stefani Kunkel aus Frankfurt, alias Hilde aus Bornheim, die mit Clajo bei der »hessisch Dreidabbischkeit« gespielt hat, steht für zwei Nummern auf der Bühne. Eine hat Clajo für sie geschrieben. Ich freue mich auf den Auftritt. Weil ich weiß: Es geht weiter.

Aufhören war keine Option?

Nein. Zu keiner Zeit. Dafür mache ich das viel zu gerne. Wir lassen uns vom Tod doch nicht auch noch das Lachen nehmen.

Denken die Zuschauer auch: Oh das wird komisch? Also im Sinne von seltsam?

Klar, die Zuschauer sind auch verunsichert und fragen sich: Kann ich da hin? Ist das nicht Leichenfledderei? Eins ist klar. Wäre ich gestorben: Clajo hätte ohne mich weitergemacht (lacht). Er hat die Bühne mehr gebraucht als ich. Wenn ich morgen aufhören würde, wäre das in Ordnung. Ich habe fünf Kinder, zehn Enkel und eine Freundin. Mein Leben ist ausgefüllt. Aber ich mache weiter. Ich habe 30 Pfarrerkabarett-Termine – und einen neuen ohne Clajo.

Hinter Ihnen liegt der erste Auftritt ohne Clajo im Darmstädter halbNeun-Theater. Wie war das?

Ich hatte Riesenbammel davor. Die Vorstellung, alleine auf der Bühne zu stehen und für alles verantwortlich sein, hat mir Angst gemacht. Es war immer schön, von der Bühne gehen zu können und mich zu erholen, während Clajo sein Solo spielt. Da habe ich meine Predigt für den Sonntag geschrieben. Oder ich habe in der Garderobe Zeitung gelesen. Jetzt habe ich gelernt, gelernt, gelernt. Dann lief es super. Das war wie meine Griechisch-Prüfung im Studium. Da hatte ich so Angst, durchzufallen. Da habe ich gelernt wie ein Idiot und aus Versehen eine Eins bekommen. Das wollte ich gar nicht. Ich wäre mit einer Vier zufrieden gewesen. So war das auch beim ersten Auftritt ohne Clajo.

Aber geht das überhaupt alleine? Schließlich macht das Pfarrerkabarett das doch aus, dass zwei unterschiedliche Typen auf der Bühne stehen.

Das war ja auch Teil des Erfolgs: Zwei Typen – wie Dick und Doof. Das ist für die Leute kurzweiliger. Jetzt ist einer weg. Es ist völlig klar, Clajo ist nicht zu ersetzen. Er war eine Marke. Jetzt schlüpfe ich in verschiedene Rollen – so wie unser Kollege Georg Schramm. Ich arbeite mit Accessoires, trage einen Kittel als Hausmeister, dann mal eine Rechthaber-Kappe. Das ist gut. Aber ich alleine bin nicht so gut wie zusammen mit Clajo. Und Clajo war auch alleine nicht so gut wie wir zusammen. Ich sage es ganz offen: Ohne Clajo ist das Pfarrerkabarett schlechter. Ich kann das Niveau nicht halten. Aber es ist immer noch gut genug, dass man es anguckt.

Thematisieren Sie auf der Bühne, dass Clajo nicht mehr da ist?

Ja, ich sage dass mein Kollege sich zu den himmlischen Heerscharen aufgemacht hat. In der Zugabe stelle ich einen Stuhl auf die Bühne mit Clajos Pfarrerkabarett-T-Shirt und einem Foto von ihm und erzähle Witze, die Clajo erzählt hat. Das ist auch Trauerarbeit. Die Leute trauern ja auch. Ich möchte jetzt immer einen kleinen Clajo-Gedächtnispart machen.

Was hat Sie an Clajo beeindruckt?

Sein Wahnsinn. Dieses Unberechenbare und Sprunghafte. Das fand ich oft extrem nervig – gerade in der Gemeindearbeit war das heftig. Ein Kollege hat mal gesagt: »Wenn Clajo gesagt hat »ich übernehme die Organisation«, haben wir alle gleich den Heiligen Geist angerufen.« (lacht) Clajo war so verpeilt. Dadurch war es nie langweilig. Manchmal stand ich neben ihm auf der Bühne und habe mich kaputt gelacht über seine neuen Einfälle. Clajo war eine Wundertüte. Er konnte die Leute auch totpredigen. Wenn er sich sehr aufgeregt hat, etwa über Fremdenfeindlichkeit, hat er den Gegner niedergemacht.

Was haben Sie von ihm gelernt?

Den Mut, man selbst zu sein. Clajo ist ein Beispiel dafür, dass man viele Schrullen haben kann und trotzdem geliebt wird. Bei der Beerdigung waren so viele Menschen, die ihm seine Schrullen verziehen haben und ihn gemocht haben. Er war ein ehrlicher Typ. Von Clajo habe ich gelernt: Hab‘ den Mut, auch verrückt zu sein!

Sein plötzlicher Tod war ein Schock.

Ja. Ein Trost ist, dass es Clajo kurz vor seinem Tod richtig gut ging. Die Beziehung lief gut, das Kabarett-Programm hat klasse funktioniert. Clajo wollte nach Portugal. Er hatte einen Termin mit einer Maklerin.

In der letzten E-Mail gratulierte er Ihnen zum Jahrestag und schrieb: »27 Jahre – länger halten die meisten Ehen nicht.«

Wir waren wie ein altes Ehepaar. Wir sind uns manchmal auf den Keks gegangen, aber es war klar: Wir bleiben zusammen. Clajo war nicht einfach. Seine Freundin Karola hat echt einen Orden verdient, das habe ich auch bei der Beerdigung in Seligenstadt gesagt. Sie war sein Lebensmensch und der einzige Mensch der Welt, der es geschafft hat, diesen schwierigen, begabten, bindungsängstlichen Menschen dauerhaft zu binden. Sie hat ihm viel Sicherheit und Energie gegeben.

Dort in der Seligenstädter Kirche hat Clajo Herrmann als einer der ersten ein schwules Paar getraut.

Clajo war einer der ersten Pfarrer unserer Landeskirche, der öffentlich ein schwules Paar getraut hat.

Wir Katholiken sind da noch nicht so weit.

Das kommt noch. Warten Sie noch hundert Jahre, dann kommt das!

Das dauert zu lange.

Das ist bei 2000 Jahre alten Institutionen oft der Fall.

Hadern Sie mit Gott?

Nein. Unser Leben ist endlich. Das ist so. Wir sind zeitliche Wesen, da enden Beziehungen. Die Ewigkeit ist bei Gott. In gefühlt hundert Predigten habe ich gesagt: Alles, was wir haben, ist geliehen. Alles, was wir haben, ist nur auf Zeit.

Aber bei einem Verlust, wie beantwortet man denn die Frage nach dem Warum?

Gute Frage. Warum? Wir sind sterbliche Wesen.

Sie hatten viel Verlust in den vergangenen Jahren. Ihre Frau ist im Dezember 2020 gestorben.

Ja. Meine Frau Doris hat aber auch nicht gehadert. Wir wussten ein Jahr lang, dass sie sterben wird. Wenn ich die Wahl hätte zwischen Clajos plötzlichem Tod und Doris‘ Tod, bei dem sie sich verabschieden konnte, würde ich immer Doris‘ Tod wählen. Es war zwar superscheiße, als der Arzt uns sagte, dass sie nicht mehr gesund wird. Das war am 6. November 2019, das werde ich nie vergessen, das war der schlimmste Tag meines Lebens. Das war eine fürchterliche Katastrophe. Aber dann haben wir gesagt: Lebenszeit X ist da. Drei bis sechs Monate hätte sie noch, hieß es. Es wurden dann dreizehn Monate. Wir haben jeden Tag als Geschenk genommen. Im November haben wir noch eine Woche eine Radtour gemacht – dank der modernen Medizin. Im Dezember ist sie gestorben. Doris war eine fromme Frau. Das hilft, wenn du bei Gott zu Hause bist. Wenn du gar nichts hast, ist das scheiße. Doris war frommer als ich.

Lustig, dass das ein Pfarrer sagt!

Ich bin hauptamtlich Christ, Doris war ehrenamtlich Christin. Sie hat nicht gehadert. Sie war traurig, klar. Aber die Frage nach dem Warum hat sie nicht gestellt. Ich bin mit Gott nicht böse. Auch wegen Clajo nicht. Clajo ist jetzt bei ihm und gut aufgehoben. Aber mit Clajo schimpfe ich schon rum. Ich rede mit ihm und frage: Warum bist du fort? Aber der kann ja auch nichts dafür.

Stimmt.

Der Theologe Sören Kierkegaard spricht vom »Reifwerden zum Tode«. Ich bin jetzt 67. Ich verliere immer mehr Leute, die ich lieb habe. Irgendwann komme ich auch dran. Das ist auch eine Aufgabe, sich damit zu beschäftigen, dass mein Leben endlich ist. Hinzufühlen, dass das eine Realität ist, die auf mich zukommt. Deshalb habe ich ein Testament.

Hilft Humor? Sie sagen: »Wir lassen uns vom Tod nicht auch noch das Lachen nehmen.«

Dann hätte der Tod ja gewonnen. Die Sonne geht wieder auf, die Vögel singen, es kommt ein neuer Sommer. Das Leben dreht sich weiter. Clajo wird im Gedächtnis vieler Menschen noch lange Zeit weiter leben. Irgendwann wird er sein wie jemand, der 1895 gestorben ist. Alle emotionalen Beziehungen werden dann nicht mehr von Lebenden weitergetragen. Da musst du schon ein Goethe sein, dass du ein Denkmal bekommst. Aber dann scheißen halt die Tauben drauf. Wir sind vorübergehende Erscheinungen.

Aber tun immer so, als wären wir unsterblich.

Das habe ich bei Doris gelernt. Jeden Tag als Geschenk zu nehmen. Ich stehe auf, mache Frühsport, trinke meinen Kaffee, fahre nach Aschaffenburg, habe Termine, mache meine 9000 Schritte, koche für meine Kinder. Ein gutes Gefühl, zu wissen: Ich habe einen Tag vor mir. Abends haben Doris und ich gefragt: »Und, war der Tag schön?« Und er war schön. Dann sind wir eingeschlafen.

Was hätten Sie Clajo gerne noch gesagt?

Ich glaube, ich habe ihm alles gesagt. Ich bin klar mit ihm. Ich hätte ihn gerne wieder. Aber ich weiß, ich kriege ihn nicht wieder. Aber das ist halt jetzt so.

FEE BERTHOLD-GEIS

Hintergrund: Erstes Allgemeines Babenhäuser Pfarrer(!)kabarett

Zwei Pfarrer auf der Bühne: Seit 1991 waren Hans-Joachim Greifenstein und Clajo Herrmann beruflich und freundschaftlich verbunden. 13 Jahre waren sie Kollegen im Gemeindepfarramt Babenhausen und Harreshausen. Ihr erster Kabarett-Auftritt war am 31. Januar 1997 im Partykeller von Lilly Karner in Babenhausen, der letzte am 27. Januar 2024 in der Waldenserkirche in Oberramstadt-Rohrbach. 16 Programme haben sie gespielt, standen 1467mal zusammen auf der Bühne. Clajo Herrmann ist am 4. Februar 2024 plötzlich gestorben. Herrmann, geboren 1955, war nach eigenen Angaben »Hochleistungszweifler«. Er studierte Evangelische Theologie, Orientalistik »und Rotwein« in Mainz und Marburg. Von 1991 bis 2004 war er Pfarrer in Babenhausen, seit Juni 2004 Vollzeit-Kabarettist. Er wohnte zuletzt in Seligenstadt. Greifenstein, geboren 1957 in Hofheim, ist »dogmatischer Südhesse«. Er verbrachte viele Jahre »im Widerstand gegen alles Mögliche, was dann doch gebaut, stationiert oder gewählt wurde«. Er sagt: »Wer gewinnen will, braucht nur mich als Gegner«